Acht Millionen Versicherte hat die Techniker Krankenkasse und ist damit die zweitgrößte Krankenkasse in Deutschland. Aktuell kann man sich dort eine Broschüre herunterladen in der es vermeintlich um „Mensch und Natur“ geht – beim Lesen entpupppt sich das Ganze als profane Werbung für allerlei Scharlatanverfahren aus dem weiten Feld der sogenannten Alternativ- oder Komplementärmedizin. Wenn die TK damit ihre Kunden informieren wollte, dann wurde dieses Ziel gnadenlos verfehlt.
Das fängt schon mal damit an, dass die Broschüre schon im Vorwort 3 mal den völlig unsinnigen Begriff „Schulmedizin“ (Huch, mein Tablet kennt den in der Wortvervollständigung auch!) verwendet. Aber ok, auch wenn dieser Begriff negativ konnotiert ist (weil Medizin „die Lehre von der Vorbeugung, Erkennung und Behandlung von Krankheiten und Verletzungen bei Menschen und Tieren“ ist – und was braucht man mehr?), sehen wir mal darüber weg und lesen was sonst noch in diesem Werk zur Kundeninformation steht. 64 Seiten wollen ja befüllt sein …
Nach dem Vorwort geht es zunächst um die „innere Uhr“ (Seite 4-11) und die Ernährung (Seite 12-23) – beides Themen, bei denen besser informierte Personen gerne Kritik üben können (Kritik kann ja auch positiv sein), ich kenne mich da nicht so aus. Auf Seite 24 beginnt dann der Teil mit dem Titel „Natürlich gesund werden“ – und da rollen sich mir mehrfach die Fußnägel auf. Dabei beginnt es noch ganz harmlos, und auf Seite 27 findet sich tatsächlich ein Abschnitt mit dem Motto „Kritisch prüfen„. Dabei findet sich auch folgender Text:
Vorsicht ist geboten, wenn die Beschwerden trotz Behandlung anhalten oder sich verschlechtern. Es kommt leider immer noch zu oft vor, dass wichtige medizinische Maßnah-men verzögert werden, nur weil zu lange gewartet wird. Gehen Sie rechtzeitig zum Arzt.
Komisch, dass auf Seite 34 bei der Lobhudelei zur Homöopathie etwas ganz anderes steht:
Anfangs können sich dabei die Beschwerden zunächst verschlimmern, […]
Äh, was jetzt? Soll man dann zum Arzt gehen? Oder abwarten? Bei der Homöopathie finden sich eh wunderbare Aussagen, z.B. diese (Seite 35):
Mit jeder Stufe der „Potenzierung“ wird das Mittel stärker verdünnt und dadurch in der Vorstellung der Vertreter der Homöopathie immer wirksamer – ein scheinbares Paradoxon, das die Homöopathie auszeichnet.
Das ist kein scheinbares Paradoxon, sondern schlicht und einfach Unsinn. Das ist keine „Auszeichnung“, sondern ein Beleg dafür, dass es sich bei der Homöopathie um ein Denkgebäude handelt, das einfach unseren heutigen, vielfach bestätigten, wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht. Diese „Vorstellung der Vertreter der Homöopathie“ erweist sich eben als falsch! Es ist schon eine erstaunliche Folgerung, dass man die Tatsache, dass dieser Unsinn jeder wissenschaftlichen Erkenntnis widerspricht, als „Auszeichnung“ darstellt.
Aber es gibt noch mehr Ungereimtheiten in diesem Pamphlet. Während ganz allgemein auf Seite 25 das hohe Lied der Koexistenz beider Richtungen gesungen wird …
Aus der streng abgegrenzten „Alternativmedizin“ hat sich heute mehr und mehr eine ergänzende „Komplementärmedizin“ entwickelt, die gleichzeitig eingesetzt wird. Und das entspricht den Bedürfnissen der meisten Menschen: Über zwei Drittel der Bevölkerung wünschen sich, dass Naturheilkunde und Schulmedizin zukünftig Hand in Hand arbeiten. So kann die konventionelle Medizin die Krankheit behandeln, während gleichzeitig die Naturheilkunde die Selbstheilungskräfte anregt und die „gesunden Anteile“ des Menschen weiter kräftigt.
… gilt das offensichtlich nicht innerhalb der Quacksalberverfahren – Entschuldigung, ich meinte natürlich der Naturheilkunde. Oder warum sonst wird unter „Homöopathie oder Schüßlersalze – ein Unterschied?“ (Seite 34) folgendes geschrieben:
Während einer homöopathischen Behandlung sollten übrigens keine Schüßlersalze eingenommen werden, weil der behandelnde Arzt sonst nicht mehr unterscheiden kann, was wirkt.
Der Arzt kann bei jeder Mischung von Therapieverfahren nicht wissen, was im Endeffekt gewirkt hat, wenn es denn gewirkt hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass es die Homöopathie (oder die Schüßlersalze oder was auch immer) war, ist aber gegenüber anderen, wissenschaftlich erforschten Heilmethoden (… oder einfachen Nichtstun) so verschwindend gering, dass eine solche Aussage nicht mehr als eine Werbung für ein in allen wissenschaftlich relevanten Tests gescheitertes vermeintliches Heilverfahren darstellt. Dies den Kunden mit positiver Konnotation zu präsentieren ist entweder eine glatte Lüge oder absoluter Unwissenheit geschuldet.
Der absolute Hammer findet sich aber auf Seite 32. Es geht um Phytotherapie, und da werden auch die (mit der Phytotherapie absolut inkompatiblen) Bachblüten erwähnt. Es heißt dort:
Für die Wirksamkeit dieses Verfahrens gibt es noch keine wissenschaftlichen Beweise.
Stimmt, und tausend Argumente warum bei diesem Zeugs nichts außer den beliebten Placeboeffekten wirken kann! Aber Wahrheit, wissenschaftliche Erkenntnisse und echte Verbraucherinformation scheinen die Techniker Krankenkasse sowieso nicht die Bohne zu interessieren.
Das Ganze ist in großen Teilen leider nur eine halbgare Werbepostille für wissenschaftlich nicht haltbare Pseudomedizin und verfehlt ihr Ziel (Kundeninformation) völlig. Ich bin fast froh, dass ich bei einer anderen Krankenkasse untergekommen bin!
Letzte Kommentare