Lokale Agenda, Vollwertkost und Impfgegner – die Stadt Mainz blamiert sich

10 06 2017

„Tu‘ heute was für morgen“ scheint der Wahlspruch der Lokalen Agenda 21 Mainz zu sein und das passt ja auch richtig gut wenn man sich Folgendes auf die Fahne geschrieben hat:

Zukunftsfähig handeln heisst: Umwelt, Wirtschaft und Soziales gleichrangig zu entwickeln, und den nächsten Generationen ein lebenswertes Umfeld zu schaffen.

Seit 1997 gibt es auch in Mainz ein Forum für diese weltweite, von der UN 1992 initiierte  Aktion.  Gut so, kann man da nur sagen, denn die Stadt Mainz stellt den einzelnen Arbeitskreisen natürlich gerne ihre Räume zur Verfügung. Schaut man sich die Webseite der Lokalen Agenda 21 Mainz an, so fällt zunächst das etwas altbackene Design auf. Aber egal, Hauptsache es tut sich was – und dafür gibt es ja ein paar Arbeitskreise, genauer gesagt sechs Stück, über die man aber nicht unbedingt viel erfährt.

Natürlich gibt es einen Arbeitskreis Verkehr, der sich regelmäßig trifft und Ideen zum öffentlichen Nahverkehr und zur Verbesserung des Fahrradverkehrs mit entwickelt darf. Schön, dass die Stadt Mainz das unterstützt! Auch der AK Entwicklungszusammenarbeit läuft unter der Lokalen Agenda, aber in den letzten Jahren scheint da nicht allzu viel passiert zu sein. Immerhin, es gibt regelmäßige Treffen. Der AK Naturnahes Grün trifft sich auch regelmäßig, und Natur in der Stadt zu fördern ist wirklich klasse. Ob das Grün um unsere Terrasse naturnah ist weiß ich nicht, aber wir geniessen unsere Weißweinschorle dort sehr gerne …

Terrasse

Dann gibt es noch einen AK Ebersheim, der sich agendagemäß um den gleichnamigen Vorot kümmert, und einen AK Wohnen, dessen Aktivitäten irgendwie im Dunkeln bleiben und der auf überregionale Seiten zu diesem wichtigen Thema verweist. Bleibt noch ein letzter Arbeitskreis, aber der hat es in sich, der AK Gesundheit und Ernährung. Der Rest dieses Textes wird sich damit befassen …

Klar, Gesundheit und Ernährung sind ein ein wichtiges Thema, auch im Rahmen einer Agenda 21. Was aber hier in Mainz zu diesem Thema geboten wird ist schon ein wenig seltsam. Das fängt schon mal streng pseudowissenschaftlich an (Anmerkungen in rot von mir):

Tatsache ist:
Speziell in den Industriestaaten werden die Bürger immer früher krank. (Belege bitte!)
Noch vor 150 Jahren waren die meisten heutigen ernährungsbedingten Krankheiten selten. (welche?) Da sich Hygiene, Wohnraum, Arbeitsbedingungen, ärztliche Versorgung enorm verbessert haben, kann der Gesundheitsverfall nur in unserer Nahrung liegen, die seit etwa 1870 mehr und mehr industriellen Prozessen unterworfen wurde. (… oder daran, dass die Menschen heute einfach wegen der verbesserten Lebensumstände viel älter werden! Wer – wie im 19. Jahrhundert – eine Lebenserwartung von ca. 40 Jahren hat, der wird bestimmte Krankheiten einfach nicht mehr bekommen, weil er/sie schon vorher den Radieschen von unten beim Wachsen zusehen kann)

OK, laut diesem AK gibt es dazu eine Antwort:

Wir halten die vitalstoffreiche Vollwertkost für am besten geeignet. Sie enthält noch alle Vitalstoffe, wie Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Enzyme, ungesättigte Fettsäuren, Aroma- und Faserstoffe, die unser Stoffwechsel für seine Arbeit benötigt.

Und was sagt die Wissenschaft dazu? Schon ein Blick in die Wikipedia fördert wohl begründete Kritik zutage, aberdas scheint den Agenda-Verantwortlichen in Mainz entgangen zu sein. Diese Gruppe „firmiert“ übrigens auch unter einem anderen Namen, nämlich dem „Gesundheitsforum Mainz-Wiesbaden„, und da wird es so langsam wirklich schräg. Laut Selbstbeschreibung geht es nicht um Nachhaltigkeit oder etwas Ähnliches sondern laut Selbstbeschreibung ist das

… eine Gruppe Gesundheitsinteressierter und Gesundheitsberater, die die vitalstoffreiche Vollwerternährung, wie sie unter anderen von Maximilian Oskar Bircher-Benner, Werner Kollath, Dr. Max-Otto Bruker oder Johann Georg Schnitzer beschrieben wird, vertreten.

Was das mit einer Agenda 21 zu tun hat ist mir völlig schleierhaft, und es wird noch schlimmer, wenn man sich einige der erwähnten Protagonisten anschaut. Dr. Max Otto Bruker zum Beispiel war waschechter Nazi, Johann Georg Schnitzer ist Unterstützer der menschenverachtenden „Neuen Germanischen Medizin“ – natürlich könnten ihre „Erkenntnisse“ zum Thema Ernährung richtig sein, aber es gibt dafür bisher eben keinen Nachweis. Während es vollkommen klar ist, dass im Rahmen eines Agenda 21- Prozesses es für die zukünftige Menschheit besser ist wenn wir mehr Rad fahren oder den ÖPNV benutzen als das Auto, ist das bei dem Konzept der Vollwerternährung zumindest stark zu bezweifeln.

Der AK Gesundheit und Ernährung ist übrigens sehr aktiv! Regelmäßig werden Vorträge angeboten, für die natürlich – wegen der Agenda 21 Geschichte – die Stadt Mainz kostenfrei Räume zur Verfügung stellt. Ein kurzer Blick auf das diesjährige Programm zeigt, bei diesem AK geht es nicht um Agenda 21 Themen, sondern um knallharte Pseudowissenschaft. Blöd nur, wenn nach Vorträgen zu Homöopathie und „ganzheitlicher Zahnmedizin“ eine Journalistin der Mainzer Allgemeinen Zeitung einen von dieser Gruppe lancierten Vortrag zum Thema Impfen besucht und zurecht erbost ist, denn die Referentin erwies sich als knallharte Impfgegnerin, die ihre hanebüchenen Thesen mit Verschwörungstheorien garnierte. Danke Frau Hickmann, ihr Artikel war klar und eindeutig! Wenn solche unterirdischen Fakenews-Vorträge im Namen einer (gut gemeinten) Agenda erfolgen muss man dies klar und deutlich ansprechen.

In der Folge gab es natürlich völlig abseitige Kommentare auf den verlinkten Artikel  – und ein sehr positives Ergebnis: die Referentin dieses absurden Vortrags hat nur zwei Tage danach ihre Webseite vom Netz (das Netz vergisst aber nichts …) genommen. Auch die echten Mainzer Mediziner und ein paar Politiker reagierten schnell:

Wir haben kein Verständnis dafür, dass die Stadt solchen Leuten kostenlose Räume zur Verfügung stellt

Genau! Wer solchen Schwachsinn verbreitet ist durch das hier bei uns geltende Recht auf freie Meinungsäußerung davor geschützt für seine Meinung bestraft zu werden, aber falsche Informationen dürfen und MÜSSEN kritisiert werden –  und schon gar nicht sollte eine Stadt mit einer renommierten medizinischen Fakultät solchen gemeingefährlichen Vorträgen einen Raum kostenfrei zur Verfügung stellen.

Die Lokale Agenda 21 Mainz wäre gut beraten, diesen Arbeitskreis zumindest einmal einer kritischen Überprüfung zu unterziehen – auf Nazis zurückgehende, wissenschaftlich nicht haltbare Ernährungsregeln haben bei einer nachhaltigen Zukunftsagenda meiner Heimatstadt – meiner Meinung nach – nichts zu suchen!


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2 responses

15 01 2018
Monique Kundel

Schade, dass Sie sich so wenig mit der Vollwerternährung auskennen, sonst wüssten Sie, dass dies eine sehr nachhaltige und ökologische Ernährungsform ist:
1. sie ist bio und daher ohne Pestizide, Glyphosat usw.
2. sie ist regional, frisch und saisonal, d.h. kein CO2-Ausstoß durch weite Transportwege oder Kühlung
3. sie ist Gentechnik-frei (da bio) und daher erhalten die Tiere kein Gen-Soja wofür Regenwald zerstört wird
4. sie ist vegetarisch oder mit geringem Fleischanteil und Fleisch ist einer der größten Klima-Killer
Bzgl. Impfen kennen Sie sich leider auch wenig aus, aber dieses Fass möchte ich hier nicht auch noch aufmachen.
M.

15 01 2018
wahrsagercheck

Vollwerternährung ist aber nicht unbedingt gesund, es gibt Menschen (gar nicht mal wenige), die das Zeugs schlicht und einfach nicht vertragen. Die Systematik dahinter ist lächerlich und willkürlich und es ist nach dem ergebnis vieler Forschungen eben nicht gesünder als „normales“ Essen. Ihre 4 Punkte sind alle schön und gut, aber kein Kennzeichen der Vollwerternährung. Jeder kann sich diese 4 Punkte zu Herzen nehmen, dafür braucht es keine – eben nicht gesündere – Vollwerternährung. Wobei: Genmanipuliert sind alle unsere Nahrungsmittel – nur eben über Jahrhunderte oder Jahrtausende dauernde Züchtung (so waren Maiskolben vor ihrer Kultivierung in Süd-/Mittelamerika ca. 2 cm groß, Äpfel sind höchstwahrscheinlich in Asien durch bewußte Zucht/Kreuzung entstanden …). Und übrigens: Im ökologischen Landbau erlaubte Mittel sind auch potenziell krebserrregend (z.B. ist das im ökologischen Weinbau eingesetzte Kupfer definitiv krebserregend und reichert sich – im Gegensatz zu Glyphosat – im Boden an) .

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