Das BGH hat gestern kein endgültiges Urteil im Fall der Kartenlegerin, die von einem ihrem Kunden Geld einklagen wollte, bekannt gegeben sondern das Ganze an die Vorinstanz zurückverwiesen. In der Pressemeldung nimmt der BGH wie folgt Stellung:
- Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat zunächst die Annahme der Vorinstanzen gebilligt, dass die von der Klägerin versprochene Leistung objektiv unmöglich ist.
- [daraus folgt] nicht zwingend, dass der Vergütungsanspruch der Klägerin nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB* entfällt. Die Vertragsparteien können im Rahmen der Vertragsfreiheit und in Anerkennung ihrer Selbstverantwortung wirksam vereinbaren, dass eine Seite sich – gegen Entgelt – dazu verpflichtet, Leistungen zu erbringen, deren Grundlagen und Wirkungen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft und Technik nicht erweislich sind […]
- [Ist dem Kunden klar,] dass die Geeignetheit und Tauglichkeit dieser Leistungen zur Erreichung des von ihm gewünschten Erfolgs rational nicht erklärbar ist, so würde es Inhalt und Zweck des Vertrags sowie den Motiven und Vorstellungen der Parteien widersprechen, den Vergütungsanspruch des Dienstverpflichteten zu verneinen.
Also: Wenn der Kunde wusste, dass er sein Geld für absoluten Nonsens ausgeben würde, dann darf die Kartenlegerin auch Geld dafür verlangen? Ganz klar ist das Ganze ja noch nicht, und das Oberlandesgericht darf jetzt erst einmal eine weitere, möglicherweise entscheidende, Frage klären, die im früheren Urteil gar nicht betrachtet wurde. Es muss nämlich noch geklärt werden,
- ob die Vereinbarung der Parteien nach § 138 BGB*** wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist. In diesem Zusammenhang darf nicht verkannt werden, dass sich viele Personen, die derartige Verträge schließen, in einer schwierigen Lebenssituation befinden oder es sich bei ihnen um leichtgläubige, unerfahrene oder psychisch labile Menschen handelt. Daher dürfen in solchen Fällen keine allzu hohen Anforderungen an einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB gestellt werden.
Der erwähnte § 138, BGB beschäftigt sich mit den Themen „Sittenwidriges Rechtsgeschäft“ und „Wucher“ und Satz 1 lautet:
(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.
Mit dieser Frage darf sich nun das Oberlandesgericht beschäftigen …
Inzwischen streiten die juristischen Kommentatoren, was von diesem Urteil zu halten sei. Im GWUP-Blog (mit vielen Links zu Presseartikeln zum Thema) befürchtet der Hamburger Jurist Dr. Jan-Peter Ewert, dass dieses Urteil eher negative Auswirkungen haben wird:
Das heutige Urteil birgt die Gefahr, Tür und Tor für Klagen von Kurpfuschern jeglicher Couleur zu öffnen. Musste in der Vergangenheit der Kunde nur darlegen, dass die vereinbarte Leistung den Naturgesetzen widerspricht, um aus dem Zahlungsanspruch herauszukommen, muss er nunmehr belegen, dass er sich in einer Notlage befand, die ausgebeutet wurde. […]
Schwieriger wird die Lage für Opfer von Quacksalbern damit aber allemal.
In der Legal Tribune äußert sichProf. Dr. Hans Prütting (Inhaber des Lehrstuhls für deutsches und ausländisches Zivilprozessrecht an der Universität zu Köln) wesentlich positiver und sieht ein ganz anderes Szenario:
Soweit die Wahrsagerin als Klägerin im vorliegenden Fall ihren Zahlungsanspruch mit der verfassungsrechtlichen Garantie der Vertragsfreiheit, der Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses und der Berufsfreiheit untermauert hatte, kommt dem keinerlei Gewicht zu.
Keine der verfassungsrechtlich genannten Garantien erlaubt es einem Wahrsager, betrügerisch zu handeln oder Kunden durch wucherische Vertragsbedingungen zu schädigen. Gleiches würde gelten, wenn ein Wahrsager den Versuch machte, rechtliche Konsequenzen durch vertragliche Vereinbarungen oder gar durch allgemeine Geschäftsbedingungen zu umgehen.
Rechtliche Konsequenz eines wucherischen Geschäfts ist die Nichtigkeit des Dienstvertrags. Die auf Grundlage dieses nun nichtigen Vertrags erbrachten Leistungen erfolgten dann ohne Rechtsgrund.
… und nicht nur das, Prütting sieht sogar gute Chancen, falls der Kunde auf Rückzahlung bereits erbrachter Zahlungen klagen würde:
Der von der Wahrsagerin verklagte Kunde kann also nicht nur die Zahlung gemäß § 821 BGB verweigern. Er kann auch gemäß § 812 BGB alles zurückverlangen, was er der Wahrsagerin gezahlt hat. Hoffentlich hat sie das Geld auf die hohe Kante gelegt. Sie müsste es ja eigentlich gewusst haben.
Dabei hilft die Einschätzung des BGH, dass in diesen Fällen keine hohen Anforderungen an den „Verstoß gegen die guten Sitten“ angelegt werden dürfen.
Ralf Neugebauer (Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf und Köln) schreibt in seinem Blog nur vorläufig über das Thema und verweist auf die Tatsache, dass die genaue Begründung des BGH-Spruchs noch gar nicht veröffentlicht ist. In seiner ersten Bewertung schreibt er:
Vertragsfreiheit ist sicher wichtig. Man kann auch durchaus den strengen Standpunkt vertreten, dass Verträge eben eingehalten werden müssen. Wenn sich also alle darüber einig sind, dass Magie nach wissenschaftlichen Kriterien wirkungslos ist, warum sollen sie dann darüber keinen Vertrag schließen dürfen? Genau bei dieser Annahme habe ich aber ein Problem. Wer glaubt, dass ein Magier in die Zukunft sehen kann, der irrt. Er glaubt ja gerade, dass der Magier mit seinen Mitteln den versprochenen Erfolg erzielen kann. Der Kunde ist sich also gerade nicht darüber im Klaren, dass er sich auf eine unmögliche Dienstleistung einlässt. Ist er damit nicht schutzbedürftig? Insbesondere, wenn man an Fälle wie diesen denkt, in denen der Kunde einen beträchtlichen Teil seines Vermögens für solchen Aberglauben ausgibt.
Er hält das Urteil zumindest für nicht ungefährlich, denn er fährt fort:
Ob es in allen Fällen gelingt, diesen Schutz über das Verdikt der Sittenwidrigkeit zu erreichen, dürfte zweifelhaft sein.
Die Argumentation finde ich übrigens höchst aufschlußreich, endet sie doch in einem typischen Paradoxon a la Catch-22: Wenn alle Beteiligten wissen, dass Kartenlegen (o.ä.) Nonsens ist, warum sollten sie dann einen Vertrag schließen? Wenn ein solcher Vertrag geschlossen wird, dann muss also der Kunde von dem Nonsens nichts gewußt haben und hat damit eine – möglicherweise vorübergehende – „geistige Schwäche“ offenbart, die wiederum vom Anbieter nicht ausgenutzt werden darf …
Im Law-Blog von Udo Vetter sind beim diesbezüglichen Artikel die Kommentare das Spannendere, da ansonsten fast ausschließlich die Pressemeldung es BGH zitiert wird. Mein Lieblingskommentar stammt von einem Menschen namens „Lutz“ und findet sich in Kommentar Nr. 11:
Wird nicht bei jedem Dienstvertrag nur das Tätigwerden – und nicht der Erfolg der Tätigkeit – geschuldet? M.E. hätte man darauf abstellen können und sich jegliche Ausführungen über eine Unmöglichkeit der Leistung sparen können.
Mit anderen Worten: Der Voodoo-Hexer schuldet eben nur, dass er seine Show abzieht und Nadeln in die Puppe piekst und nicht, dass es bei der betreffenen Person aua macht. Diese Tätigkeit ist nicht unmöglich.
Wenn sich der Voodoo-Hexer im Rahmen der Vertragsfreiheit dazu verpflichtet, bei der betreffenden Person ein aua zu bewirken – ja dann hat er eben Pech gehabt und bekommt – wegen objektiver Unmöglichkeit – kein Geld.
Insgesamt also ein eher diffuses Bild – weder Freibrief für die Kartenleger noch dezidierte Stärkung des Verbraucherschutzes. Für mich erinnert das an ein ganz anderes Thema, bei dem der Markt allerdings viel stärker und viel restriktiver reguliert ist: die Finanzdienstleistungsbranche!
Dort hat der Kunde die Möglichkeit den Verkäufer (bzw. Vermittler) zu verklagen, wenn dieser ihn nicht über alle Risiken der Anlage – schriftlich! – aufgeklärt hat. Wie schön wäre es, wenn dies in ähnlicher Form (die Beschreibung der Risiken bei Finanzprodukten muss nach aktueller Gesetzeslage auch für Laien verständlich sein!) auch bei Kartenlegern, Wahrsagern und Astrologen der Fall sein müsste. Dann gibt es zwei Möglichkeiten:
- Wer das „Kleingedruckte“ nicht liest ist definitiv selbst schuld
- Ohne entsprechende Hinweise sind diese Verträge nichtig (und der Kunde muss nicht zahlen)
OK, ich weiß natürlich, dass auch die Gesetze zur Regulierung der Finanzdienstleister, Banken und Versicherungen noch alles andere als perfekt ist, aber immerhin ist es ein Schritt in die richtige (d.h. den Verbraucher/Kunden schützende) Richtung. Im esoterischen Zukunftsschwurbelmarkt ist man leider meilenweit von solchen Regelungen entfernt. Dabei gab es sogar schon mal eine entsprechende Gesetzesinitiative, die allerdings im Sande verlaufen ist. Der Gesetzentwurf zielte eigentlich eher auf das Geschäft mit irgendwelchen Psycho-Seminaren und war ebenfalls noch nicht perfekt, aber alleine §2 Abs. 1 und 2 würden die Kunden erheblich besser stellen:
§ 2 Form und Inhalt des Vertrages
(1) Verträge nach § 1 bedürfen der Schriftform.
(2) Die Vertragsurkunde muss Angaben enthalten
- über die genaue Bezeichnung und zustellungsfähige Anschrift des Unternehmers, bei juristischen Personen und rechtfähigen Personengesellschaften auch über die Person des gesetzlichen Vertreters,
- zur genauen Beschreibung der Leistung und des angestrebten Ziels einschließlich
- einer kurzen Beschreibung der angewandten Methode,
- der vertretenen ethischen Werte und
- der theoretischen Grundlagen,
- über die berufliche Qualifikation der Personen, die die Dienstleistung erbringen,
- über Art sowie die voraussichtliche Anzahl und Dauer der Veranstaltungen,
- darüber, ob die Veranstaltungen in Gruppen oder einzeln durchgeführt werden sollen,
- über den Gesamtpreis sowie den Einzelpreis je Veranstaltung,
- darüber, ob Begleitmaterial erworben werden muss, und welche Kosten hierdurch entstehen,
- darüber, ob der Vertragsgegenstand Teil eines Gesamtkonzepts ist, und über den Preis der hierzu gehörenden Leistungen,
- darüber, welche Risiken und Nebenwirkungen die angewandten Methoden haben und
- welcher Personenkreis hierdurch gefährdet sein könnte.
So heißt es erst ‚mal abwarten – irgendwann wird es eine weitere Entscheidung des OLG Stuttgart geben und ich bin schon mal gespannt wie das jetzt ausgeht …
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